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Die Rolle der Physiotherapie bei der Migränebehandlung verstehen

Leitfaden für Spannungskopfschmerzen

Dieser Blogbeitrag ist größtenteils aus unserem Podcast-Interview mit Dr. Kerstin Luedke entnommen und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt worden. Es ist keineswegs ein vollständiger Überblick über die wissenschaftliche Literatur zu Migräne, sondern soll dem Leser wichtige Informationen liefern. Viel Spaß beim Lesen!

Migräne ist eine komplexe neurologische Störung, die durch wiederkehrende Kopfschmerzen gekennzeichnet ist, die oft von Übelkeit, Erbrechen und Licht- und Geräuschempfindlichkeit begleitet werden. Für viele Betroffene kann Migräne die Lebensqualität und das tägliche Funktionieren erheblich beeinträchtigen. Traditionelle Behandlungsansätze haben sich vor allem auf pharmakologische Interventionen konzentriert; die Rolle der Physiotherapie und der manuellen Therapie bei der Migränebehandlung wird jedoch zunehmend anerkannt. In diesem Blogbeitrag gehen wir auf die neuesten Erkenntnisse und Forschungsergebnisse über den Beitrag der Physiotherapie zur Migränebehandlung ein, basierend auf einem ausführlichen Gespräch mit Dr. Kerstin Luedtke, einer führenden Expertin auf diesem Gebiet.

Was ist Migräne? Eine Definition und Unterkategorien

Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Kopfschmerzepisoden gekennzeichnet ist, die bestimmte diagnostische Kriterien erfüllen. Professor Kerstin betonte, dass Migräne nicht einfach nur Kopfschmerzen sind, die durch eine Nackenfehlfunktion oder Stress verursacht werden, sondern dass es sich um ausgeprägte neurologische Veränderungen handelt, die sowohl den Kopf als auch das allgemeine Nervensystem betreffen.

Um als Migräne eingestuft zu werden, müssen bestimmte klinische Merkmale vorliegen, nämlich die folgenden:

  1. Eine Vorgeschichte von mindestens fünf Kopfschmerzattacken, die die Kriterien 2 und 4 erfüllen (siehe unten)
  2. Kopfschmerzattacken, die 4-72 Stunden andauern (unbehandelt oder erfolglos behandelt)
  3. Kopfschmerzen weisen mindestens zwei der folgenden vier Merkmale auf:
    • unilaterale Lage
    • pulsierende Qualität
    • mäßige oder starke Schmerzintensität
    • Verschlimmerung durch oder Vermeidung von routinemäßigen körperlichen Aktivitäten (z. B. Gehen oder Treppensteigen)
  4. Während der Kopfschmerzen mindestens eines der folgenden Dinge:
    • Übelkeit und/oder Erbrechen
    • Photophobie und Phonophobie

Diese Kriterien sind in internationalen Klassifikationssystemen festgelegt und dienen dazu, Migräne von anderen Kopfschmerzarten zu unterscheiden.

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Subtypen der Migräne

Migräne kann auch in Untertypen eingeteilt werden, darunter

  • Migräne ohne Aura: Die häufigste Form, die durch die typischen Symptome ohne vorangehende neurologische Symptome gekennzeichnet ist.
  • Migräne mit Aura: Dabei handelt es sich um neurologische Symptome wie Sehstörungen, sensorische Veränderungen oder motorische Schwäche, die der Kopfschmerzphase vorausgehen.
  • Chronische Migräne: Definiert als 15 oder mehr Kopfschmerztage pro Monat, wobei mindestens acht Tage die Kriterien für Migräne erfüllen.
  • Vestibuläre Migräne: Gekennzeichnet durch Schwindelanfälle und Gleichgewichtsstörungen, die mit oder ohne Kopfschmerzen auftreten können.

Eine vollständige Liste der Migräne-Subtypen und der damit verbundenen Symptome findest du auf der Website der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen.

Pathophysiologie der Migräne

Migräne ist ein Zustand der Überempfindlichkeit und Dysregulation im zentralen Nervensystem, bei dem es zu komplizierten Funktionsstörungen in verschiedenen Gehirnregionen und -systemen kommt. Das Zusammenspiel von Hypothalamus, Kleinhirn, Trigeminus und anderen neuronalen Schaltkreisen ist die Grundlage für die verschiedenen Symptome, die während eines Anfalls auftreten, darunter Schmerzen, sensorische Empfindlichkeit und systemische Auswirkungen. Bei Migräne handelt es sich nicht einfach um starke Kopfschmerzen, sondern um eine komplexe neurologische Erkrankung mit weitreichenden Auswirkungen.

Die Rolle des Hypothalamus

Der Hypothalamus wird oft als "Migränegenerator" bezeichnet und spielt eine entscheidende Rolle bei der Auslösung und Steuerung von Migräneanfällen, insbesondere in der Prodromalphase, dem Zeitraum vor dem Auftreten der Schmerzen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Aktivität des Hypothalamus in dieser Phase zunimmt und mit Symptomen wie Gähnen, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen und Heißhunger korreliert. Diese frühen Anzeichen deuten darauf hin, dass der Hypothalamus als zentrale Schaltstelle fungiert und die Bühne für die Kaskade von Ereignissen bereitet, die zu einer Migräne führen.

Neuere MRT-Studien haben gezeigt, dass der Hypothalamus bei visuellen, auditiven und schmerzhaften Reizen eine erhöhte Aktivierung aufweist. Diese Forschung zeigt, dass der Hypothalamus eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung verschiedener Sinneseindrücke spielt und so zum Gesamterlebnis Migräne beiträgt.

Kleinhirn-Beteiligung

Das Kleinhirn, das traditionell mit dem Gleichgewicht und der motorischen Koordination in Verbindung gebracht wird, zeigt bei Migränepatienten ebenfalls eine erhöhte Aktivität. Diese Überaktivierung trägt zu Symptomen wie Schwindel, Übelkeit und Gleichgewichtsstörungen bei. Bewegungen, wie in der virtuellen Realität, können diese Effekte noch verstärken, was die Empfindlichkeit des Kleinhirns bei Migränepatienten verdeutlicht.

Sensibilisierung des Trigeminalsystems

Das Trigeminussystem ist wichtig für die Übertragung der sensorischen Signale von Kopf und Gesicht und reagiert während einer Migräne übermäßig stark. Diese erhöhte Empfindlichkeit führt zu den charakteristischen pochenden Schmerzen der Migräne. Das trigeminale System interagiert mit Eingängen aus anderen Bereichen, wie z.B. dem Bewegungsapparat, und kann die Kopfschmerzen verstärken, wenn Probleme wie Nackenverspannungen vorliegen.

Vestibuläre Dysfunktion

Einige Migränepatienten leiden unter Gleichgewichtssymptomen, wie Schwindel und Unausgeglichenheit. Die vestibuläre Migräne ist durch ausgeprägte Gleichgewichtsstörungen gekennzeichnet, aber auch Menschen ohne diesen Subtypus erleben oft eine subtile Haltungsinstabilität und Schwanken. Veränderungen der Gehirnfunktion und -struktur tragen zu diesen Symptomen bei, was die weitreichenden Auswirkungen der Migräne auf das Nervensystem unterstreicht.

Häufige Symptome

Die Migränesymptome können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein, folgen aber im Allgemeinen einem bestimmten Muster:

  1. Prodromalphase: Diese Anfangsphase kann Stunden oder sogar Tage vor den eigentlichen Kopfschmerzen auftreten. Während dieser Zeit können Menschen subtile Veränderungen erleben, die als Warnung dienen. Häufige Symptome sind:
  • Stimmungsschwankungen: Erhöhte Reizbarkeit oder ein Gefühl der Euphorie.
  • Müdigkeit: Ein Gefühl von Müdigkeit oder geringer Energie.
  • Heißhungerattacken: Ein intensives Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln, oft Süßigkeiten oder Kohlenhydraten.
  • Gähnen: Häufiges Gähnen kann den Beginn eines Anfalls signalisieren.
  1. Aura-Phase (falls vorhanden): Wenn die Krankheit von Auren begleitet wird, äußern sich diese meist als Sehstörungen, seltener als neurologische oder motorische Symptome. Auren können auch auftreten, ohne dass eine Kopfschmerzattacke folgt. Zu den Symptomen gehören:
    • Sehen von Flecken, hellen Punkten, Lichtblitzen, Zickzacklinien
    • Gestörte Sprache (Aphasie)
    • Kribbeln in den Gliedmaßen oder im Gesicht
    • Muskelschwäche
  2. Kopfschmerz-Attacken-Phase: Diese Phase ist das Markenzeichen der Migräne und zeichnet sich durch intensive und oft lähmende Schmerzen aus. Die wichtigsten Merkmale sind:
    • Standort: Die Kopfschmerzen sind in der Regel einseitig, d. h. sie betreffen eine Seite des Kopfes, können aber auch auf beide Seiten übergreifen.
    • Qualität des Schmerzes: Der Schmerz wird oft als pochend oder pulsierend beschrieben und kann von mäßiger bis starker Intensität reichen.
    • Assoziierte Symptome: Viele Betroffene leiden unter Übelkeit und Erbrechen sowie einer erheblichen Empfindlichkeit gegenüber Licht (Photophobie) und Geräuschen (Phonophobie). Das kann es schwierig machen, während eines Anfalls normal zu funktionieren, da alltägliche Geräusche und Lichter überwältigend werden.
  3. Postdrom-Phase: Nach den Kopfschmerzen können die Betroffenen eine Erholungsphase erleben, die Stunden oder Tage dauern kann. Zu den Symptomen in dieser Phase können gehören:
    • Müdigkeit: Ein anhaltendes Gefühl der Erschöpfung.
    • Stimmungsschwankungen: Ein Gefühl der Erleichterung oder umgekehrt ein Stimmungstief oder Reizbarkeit.
    • Kognitive Schwierigkeiten: Probleme mit der Konzentration oder dem Gedächtnis.

Prävalenz, Risikofaktoren und Auslöser

Migräne betrifft einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 15 % der Erwachsenen unter Migräne leiden. Die Prävalenz variiert je nach Geschlecht, wobei Frauen dreimal häufiger unter Migräne leiden als Männer. Diese Zahl ist jedoch unsicher, da unklar ist, ob Männer bei Migräne weniger häufig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Verschiedene Risikofaktoren und Auslöser tragen dazu bei, dass die Wahrscheinlichkeit von Migräne steigt, darunter:

  • Stress: Obwohl Menschen mit Migräne in der Regel nicht mehr Stress erleben als Menschen ohne Migräne, scheint Stress ein wichtiger Faktor bei der Auslösung von Migräneanfällen zu sein, insbesondere in Phasen, die auf ein erhöhtes Stressniveau folgen. Viele Migränepatienten berichten von so genannten "Wochenendkopfschmerzen".
  • Das Wetter: Viele Menschen mit Migräne behaupten häufig, dass veränderte Wetterbedingungen ihre Migräneanfälle auslösen; die Forschung konnte dies jedoch bisher nicht bestätigen.
  • Genetik: Eine familiäre Vorgeschichte von Migräne erhöht das Risiko.
  • Andere Umweltfaktoren: Helles Licht und starke Gerüche können Anfälle auslösen.

Migräne beginnt in der Regel in der Pubertät, wobei die ersten Episoden im Teenageralter auftreten und die Migräne die Betroffenen in der Regel bis ins Erwachsenenalter begleitet. Dieses Timing stellt eine große Herausforderung dar, denn Migräne tritt vor allem dann auf, wenn die Betroffenen sich auf ihre Karriere, ihre Arbeit und die Erziehung ihrer Kinder konzentrieren. Nach dem Erreichen dieses Höhepunkts geht die Häufigkeit der Migräne bei vielen Menschen mit zunehmendem Alter allmählich zurück, vor allem bei Frauen, die um die Menopause herum einen Rückgang der Migräne bemerken.

Diagnose

Rote Fahnen

Bei der Diagnose von Migräne müssen Gesundheitsdienstleister auf "rote Fahnen" achten, die eher auf eine ernstere Grunderkrankung als auf eine primäre Kopfschmerzerkrankung hindeuten. Zu diesen Warnzeichen gehören:

  • Donnerschlag-Kopfschmerzen: Plötzliche, starke Kopfschmerzen, die innerhalb von Sekunden ihre maximale Intensität erreichen und auf Erkrankungen wie eine Subarachnoidalblutung hinweisen können.
  • Kopfschmerzen, die im Laufe der Zeit immer schlimmer werden: Dieses Muster kann auf einen Masseneffekt hinweisen, z. B. einen Hirntumor oder andere strukturelle Anomalien.
  • Neue oder zum ersten Mal auftretende Kopfschmerzen bei Personen über 50 Jahren: Diese Kopfschmerzen müssen sorgfältig untersucht werden, da sie auf eine Arteriitis temporalis oder andere ernsthafte Erkrankungen hinweisen können.
  • Kopfschmerzen in Verbindung mit systemischen Symptomen: Fieber, Gewichtsverlust oder andere Anzeichen einer systemischen Erkrankung können auf Infektionen oder systemische Krankheiten hinweisen.
  • Neurologische Symptome: Anhaltende Verwirrung, fokale Defizite oder Krampfanfälle neben Kopfschmerzen erfordern eine dringende Untersuchung.

Um eine gründliche Bewertung zu gewährleisten, werden oft die SNOOP-Kriterien angewendet. Dieses Akronym hebt die wichtigsten Bereiche hervor, die bei einer Kopfschmerzuntersuchung untersucht werden sollten:

  • S: Systemische Symptome (z. B. Fieber, Gewichtsverlust) oder sekundäre Risikofaktoren (z. B. Krebs, HIV).
  • N: Neurologische Symptome oder Anzeichen (z. B. fokale Defizite, verändertes Bewusstsein).
  • O: Plötzlicher oder abrupter Beginn (z. B. Donnerschlagkopfschmerz).
  • O: Älteres Alter beim Auftreten der Kopfschmerzen (typischerweise über 50 Jahre).
  • P: Musterwechsel oder fortschreitende Kopfschmerzen, insbesondere wenn sie sich von der üblichen Situation des Patienten unterscheiden.

Bewertung

Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sind ein wichtiger Bestandteil bei der Beurteilung und Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen, indem sie sich mit den muskuloskelettalen Faktoren befassen, die zu den Symptomen der Patienten beitragen können. Umfassende physiotherapeutische Untersuchungen konzentrieren sich auf die Beurteilung der Beweglichkeit des Nackens, der Haltung, der Muskelkraft und des Vorhandenseins von Triggerpunkten. Diese Elemente stehen in engem Zusammenhang mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp und können Migräne verschlimmern, was unterstreicht, wie wichtig es ist, sie zu erkennen und zu behandeln.

Um diesen Prozess zu vereinfachen und zu verbessern, wurde eine standardisierte Testbatterie (Leudke et al., 2016) entwickelt. Mit dieser Batterie können Physiotherapeuten systematisch körperliche und funktionelle Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Kopfschmerzerkrankungen beurteilen. Dieses Instrument ist zwar sehr effektiv bei der Erkennung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparats, kann aber nicht zwischen verschiedenen Kopfschmerzarten wie Migräne, Spannungskopfschmerzen oder Clusterkopfschmerzen unterscheiden. Die Einschränkung liegt darin, dass sich die körperlichen Symptome überschneiden - Nackenfunktionsstörungen, Muskelverspannungen und Haltungsprobleme sind bei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen häufig. Triggerpunkte und Nackenschmerzen kommen zum Beispiel sowohl bei Spannungskopfschmerzen als auch bei Migräne vor, so dass die Testbatterie als alleiniges Diagnoseinstrument nicht ausreicht.

Um diese Lücke zu schließen, bieten die Klassifikationskriterien der International Headache Society (IHS) einen zuverlässigen Rahmen für die Identifizierung von Kopfschmerztypen. Diese Kriterien helfen Physiotherapeuten dabei, die Ergebnisse der Testbatterie mit weiter gefassten diagnostischen Richtlinien zu kombinieren, damit sie fundierte Entscheidungen darüber treffen können, ob sie mit der Behandlung fortfahren oder den Patienten zur weiteren medizinischen Untersuchung überweisen sollen. Dieser Ansatz stellt sicher, dass Personen mit primären Kopfschmerzen, die für eine Physiotherapie geeignet sind, eine gezielte Behandlung erhalten, während diejenigen mit roten Fahnen oder komplexen Erkrankungen an die entsprechenden Fachärzte verwiesen werden.

Um eine Migräne zu diagnostizieren, stützen sich Gesundheitsdienstleister oft auf eine ausführliche Anamnese und eine körperliche Untersuchung, die durch die Kriterien der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD) ergänzt werden. Bei atypischen oder plötzlich auftretenden Kopfschmerzen können bildgebende Untersuchungen wie MRT- oder CT-Untersuchungen durchgeführt werden, um andere mögliche Ursachen für die Kopfschmerzen auszuschließen. 

Differenzialdiagnose

Untersuchungen haben ergeben, dass über 90 % der Migränepatienten nachweisbare Dysfunktionen des Bewegungsapparats haben. Diese bedeutsame Erkenntnis wirft zahlreiche Fragen zum Zusammenhang zwischen diesen Funktionsstörungen und Migräneanfällen auf. Sind diese Muskel-Skelett-Probleme ein ursächlicher Faktor für Migräne, ein mitwirkender Faktor oder lediglich eine Folge wiederholter Kopfschmerzepisoden? Das Verständnis dieser Beziehung ist komplex und geht über die einfache Bewertung der Halswirbelsäulenfunktion hinaus.

Studien haben zwar die Prävalenz muskuloskelettaler Dysfunktionen bei Migränepatienten hervorgehoben, aber sie haben nicht effektiv zwischen Migräne und zervikogenen Kopfschmerzen unterschieden. Obwohl man gehofft hatte, dass spezifische Tests diese Unterscheidungen klären könnten, wie z. B. der Flexions-Rotations-Test, bei dem das C1/C2-Gelenk in Rotation geprüft wird, liefern diese Tests oft positive Ergebnisse für beide Arten von Kopfschmerzen, was darauf hindeutet, dass es keine klare Unterscheidung gibt.

Es ist jedoch wichtig, die Rolle bestimmter Manöver bei der Beurteilung von Kopfschmerzarten zu berücksichtigen. Wenn zum Beispiel bestimmte Kopfpositionen oder -bewegungen - wie Streckung oder seitliche Beugung - das typische Kopfschmerzmuster auslösen, könnte dies eher auf einen zervikogenen Kopfschmerz als auf eine Migräne hindeuten. Es ist jedoch erwähnenswert, dass bei Migränepatienten auch Schmerzen auftreten können, die sich auf den Kopf beziehen, was den Diagnoseprozess erschwert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Unterscheidung von Kopfschmerzen ist das Verständnis von Kopfschmerzen vom Spannungstyp (TTH). Trotz ihres Namens ist die mit TTH verbundene Muskelverspannung kein ursächlicher Faktor, sondern ein Symptom, das durch die zugrunde liegende Kopfschmerzerkrankung entsteht. TTH wird als primärer Kopfschmerz eingestuft, der seinen Ursprung im Gehirn selbst hat. Physiotherapeuten können zwar dabei helfen, Nackenverspannungen zu lindern, aber es ist wichtig zu wissen, dass diese Muskelverspannungen nicht die eigentliche Ursache für die Kopfschmerzen sind.

Angesichts dieser Komplexität sollten sich Physiotherapeuten auf die Klassifikationskriterien der International Headache Society (IHS) verlassen, die sich in erster Linie auf die Krankengeschichte und die Symptomatik konzentrieren. Die Beurteilung der muskuloskelettalen Faktoren ist nach wie vor wertvoll, denn sie liefert Informationen für die Behandlungsentscheidungen und hilft bei der Entscheidung, ob eine Physiotherapie für den Patienten geeignet ist. Wenn Physiotherapeuten die Feinheiten der verschiedenen Kopfschmerzarten verstehen, können sie maßgeschneiderte Maßnahmen anbieten, die auf die spezifischen Symptome eingehen und die Ergebnisse der Patienten verbessern.

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Behandlung

Physiotherapie und manuelle Therapie haben sich bei der Behandlung von Kopfschmerzen als wirksam erwiesen. Es ist jedoch wichtig, ihre Rolle im breiteren Kontext der Migränebehandlung zu verstehen. Physiotherapie kann Migräne zwar nicht heilen, aber sie kann auf jeden Fall dazu beitragen, die damit verbundenen Symptome zu lindern und die Ergebnisse der Patienten zu verbessern.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Migräne nicht nur ein Problem des Nackens ist und dass man daher nicht erwarten kann, dass Physiotherapie allein die Beschwerden löst. Die Patientinnen und Patienten müssen über diese Einschränkung aufgeklärt werden, damit sie realistische Erwartungen haben. Eine wirksame akute Schmerzbehandlung, wie die Einnahme von Triptanen oder anderen Medikamenten, ist für Migränepatienten nach wie vor von entscheidender Bedeutung und es wäre unethisch, ihnen den Zugang zu solchen Medikamenten zu verwehren. Manche Patientinnen und Patienten sprechen besser auf bestimmte Behandlungen an, und vorbeugende Medikamente wie Antidepressiva oder Antiepileptika können für diejenigen von Vorteil sein, die häufiger oder schwerer unter Anfällen leiden.

Für Physiotherapeuten sollte der Schwerpunkt auf der Behandlung bestehender Dysfunktionen des Bewegungsapparats liegen, insbesondere im Nackenbereich. Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen mit Nackenproblemen häufiger Migräneanfälle haben und stärker beeinträchtigt sind. Indem sie diese Störungen beheben, können Physiotherapeuten dazu beitragen, zusätzliche Schmerzen zu minimieren, die die Lebensqualität verschlechtern könnten.

Jüngste Studien haben vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich der Wirkung von physiotherapeutischen Maßnahmen gezeigt. So wurde zum Beispiel festgestellt, dass sich die Zahl der Kopfschmerztage verringert, wenn man die manuelle Therapie um pädagogische Komponenten ergänzt. Darüber hinaus ergab ein Vergleich der manuellen Therapie mit leitliniengerechtem Aerobic-Training, dass beide Ansätze zu einer ähnlichen Verringerung der Kopfschmerzhäufigkeit führten.

Im Allgemeinen sind die folgenden Behandlungsansätze und Empfehlungen ein guter Ausgangspunkt für die Behandlung von Migränepatienten:

Befolgung der Richtlinien: Die Behandlung sollte sich an den etablierten Leitlinien orientieren, die einen vielschichtigen Ansatz zur Bewältigung der Migräne betonen.

Aerobes Training: Sportliche Betätigung wirkt sich positiv auf Migränepatienten aus, auch wenn der Effekt nur gering ist. Es ist wichtig, die Patienten über das richtige Timing von Bewegung aufzuklären und ihnen zu raten, körperliche Aktivitäten in den 48 Stunden vor einem Migräneanfall zu vermeiden, während sie in symptomfreien Zeiten zu regelmäßiger aerobischer Aktivität ermutigt werden. Die Forschung zeigt, dass Sport mit höherer Intensität bessere Ergebnisse erzielt als Sport mit geringer Intensität.

Entspannungstechniken: Es kann hilfreich sein, Entspannungsstrategien in die tägliche Routine einzubauen. Aktivitäten, die als entspannend empfunden werden - wie ein Spaziergang in der Natur, Zeit mit geliebten Menschen zu verbringen oder sich einfach nur einen Moment Zeit zu nehmen, um abzuschalten - können das Stressniveau und das allgemeine Wohlbefinden erheblich beeinflussen.

Hydratation: Die richtige Flüssigkeitszufuhr ist nicht nur wegen ihrer physiologischen Vorteile wichtig, sondern auch, weil sie es den Menschen ermöglicht, eine Pause vom Alltagsstress zu machen.

Bildung: Die Aufklärung über die Neurophysiologie der Migräne kann die Patienten stärken. Das Verständnis ihrer Erkrankung kann die Symptome entmystifizieren, Ängste abbauen und ihnen die Gewissheit geben, dass Migräne kein Anzeichen für ernstere gesundheitliche Probleme ist.

Symptomverfolgung: Patienten dazu zu ermutigen, ein Kopfschmerztagebuch zu führen, kann eine effektive Methode sein, um die Symptome zu überwachen und die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen im Laufe der Zeit zu bewerten.

Förderung der Stabilität: Wenn du deinen Patienten hilfst, einen festen Tagesablauf zu etablieren, kann das helfen, die Migräne effektiv zu bewältigen. Dazu gehört, dass du regelmäßige Mahlzeiten und Schlafzeiten einhältst, um den Blutzucker zu stabilisieren und dich auszuruhen. Es ist auch von Vorteil, den Stress allmählich abzubauen, anstatt ihn erst hochschnellen zu lassen und dann stark abfallen zu lassen. So kann zum Beispiel die Erledigung von Arbeitsaufgaben wie das Beantworten von E-Mails am Wochenende dazu beitragen, das Stressniveau während der Woche konstant zu halten. 

Bei der Behandlung von Migräne wird zunehmend eine ganzheitliche Perspektive eingenommen, die anerkennt, dass körperliche, psychologische und Lebensstilfaktoren bei der Migränebehandlung eine wichtige Rolle spielen. Dieser breitere Ansatz spiegelt die sich entwickelnde Praxis der Physiotherapie bei der Behandlung komplexer Gesundheitszustände wider.

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Zukünftige Wege in der Migräneforschung

Trotz der Fortschritte beim Verständnis der Migräne gibt es immer noch große Lücken in der Forschungslandschaft. Einer der wichtigsten Bereiche, die weiter erforscht werden müssen, ist die Rolle des Bewegungsapparats bei der Migränebehandlung. Obwohl ihre Bedeutung zunehmend anerkannt wird, haben die aktuellen klinischen Leitlinien, vor allem in Deutschland, Physiotherapie, manuelle Therapie oder Bewegung noch nicht als praktikable Behandlungsoptionen aufgenommen. Die Befürworter hoffen, dass dieses Versäumnis bei künftigen Überarbeitungen behoben wird.

Auch die Untersuchung von Lernmechanismen im Zusammenhang mit Migräne ist ein interessanter Ansatzpunkt für die Forschung. Es ist zwar wichtig klarzustellen, dass Menschen nicht einfach "lernen", Migräne zu haben, aber es besteht die Möglichkeit, dass das Schmerzverhalten durch Beobachtungserfahrungen beeinflusst werden kann. Kinder können zum Beispiel Verhaltensweisen von Eltern nachahmen, die unter Migräne leiden, was sich auf ihre eigene Schmerzwahrnehmung und -bewältigungsstrategien auswirken könnte.

Ein weiterer vielversprechender Forschungsbereich betrifft die Dynamik von Nocebo- und Placebo-Effekten bei der Migränebehandlung. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese psychologischen Faktoren eine differenziertere Rolle spielen als bisher angenommen, was die Komplexität des Schmerzmanagements verdeutlicht.

Schließlich besteht ein dringender Bedarf an umfassenden RCTs, die sich auf die Wirksamkeit von Physiotherapie bei Migränepatienten konzentrieren. Solche Studien könnten wertvolle Erkenntnisse liefern und möglicherweise die Wirksamkeit physiotherapeutischer Ansätze nachweisen, was letztendlich zu ganzheitlicheren und effektiveren Strategien zur Migränebewältigung beitragen würde.

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